Eine Sache verdeutlicht die aktuelle Pandemie: Digitale Technologien sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Millionen von Deutschen arbeiten – manche bereits seit fast einem Jahr – von zuhause aus. Und haben dank Highspeed-Verbindungen, Internet und einer Vielzahl von cloud- und webbasierten Anwendungen auch im Homeoffice keine Produktivitätseinbußen. Der Unterricht von Schülern und Studenten findet ebenfalls zu einem Großteil digital statt. Und auch unser Privatleben hat sich weitgehend ins Internet verlagert, wo wir Familie, Freunde und Kollegen in Videochats treffen, online mit ihnen spielen oder zusammenarbeiten.
Ohne die Vorteile moderner Technologien fielen die gesellschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 möglicherweise viel verheerender aus. Allerdings haben nicht alle Menschen die gleichen Zugangschancen zu technologischen Errungenschaften wie dem World Wide Web, digitalen Inhalten und mobilen Internetanwendungen. Tatsächlich hat der rasche digitale Umstieg für viele auch zu mehr Benachteiligung und Hindernissen geführt.
So haben einige keinen Zugang zu digitalen Technologien, weil sie es sich nicht leisten können oder mit der Bedienung nicht vertraut sind. Andere wiederum sind aufgrund körperlicher Behinderungen eingeschränkt, was die Nutzung von Websites, digitalen Dokumenten und Anwendungen schwierig oder gar unmöglich macht. Was für die meisten selbstverständlich ist, ist für Menschen mit Behinderung oft undenkbar und verwandelt Alltägliches in einen Kraftakt.
Obwohl nach Artikel 3 des Grundgesetzes niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, sehen sich Menschen mit Behinderungen tagtäglich mit Hindernissen konfrontiert, wie etwa das Fehlen barrierefreien Zugangs zu Wohnhäusern, Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln oder viel zu schmale Gänge in Supermärkten.
Die aktuelle Pandemie zeigt recht deutlich, dass die digitale Infrastruktur in ihrer Bedeutung gleichauf mit der physischen Infrastruktur liegt. Für Menschen mit einer Sehbehinderung ist es zum Beispiel extrem schwierig, im Internet zu surfen, Webinhalte zu konsumieren, Bestellungen zu tätigen oder digitale Dokumente und Formulare aufzufinden und zu nutzen. Ohne Online-Barrierefreiheit kann selbst die Bestellung einer Pizza über eine App oder den Webbrowser eine unüberwindbare Hürde werden. So wurde etwa die US-amerikanische Restaurantkette Domino’s Pizza von einem blinden Nutzer verklagt, weil weder Website noch App barrierefrei ist und es nicht möglich war, zusätzliche Zutaten oder einen Rabatt-Code hinzuzufügen. Trotz Rechtsprechung zugunsten des Klägers weigerte sich die Pizzakette, ihre Website barrierefrei zu gestalten. Damit steht das Unternehmen nicht alleine da, denn bisher bieten die wenigsten einen barrierefreien Online-Auftritt. Das verwundert ein wenig, da sie so ihre Inhalte einem viel größeren Publikum bereitstellen, ihre Reichweite erhöhen und ihren Kundenkreis erweitern könnten.
Barrierefreiheit in Deutschland
In Deutschland sind bisher nur öffentliche Verwaltungen verpflichtet, ihren Webauftritt barrierefrei zu gestalten. Dort gelten die „EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Aufwendungen öffentlicher Stellen“ und die nationale Verordnung „BITV 2.0“, die sich beide auf den Standard „WCAG 2.0“ des World Wide Web Consortiums (W3C) stützen. Neben dem Seitencode (HTML5, JavaScript etc.) müssen öffentliche Stellen ebenso downloadbare Dokumente und Formulare wie Informationsblätter, Broschüren, Anträge etc. bereitstellen. Dennoch sind auch in öffentlichen Verwaltungen längst nicht alle Websites und angebotenen Inhalte für Menschen mit Behinderungen vollständig zugänglich.
Ein Grund hierfür ist sicherlich die Unwissenheit, wie sich barrierefreie Inhalte erstellen oder bereits vorhandene Dokumente umwandeln lassen, damit sie den geltenden Barrierefreiheit-Standards entsprechen. Doch mit der richtigen Technologie und Tools können öffentliche Verwaltungen und Unternehmen den Erstellungsprozess und die Neugestaltung barrierefreier Dokumente und Formulare optimieren. Dies bedeutet, vorhandene und neue Dokumente für Menschen mit Sehbehinderung so aufzubereiten, dass die Inhalte mit unterstützender Software und/oder Hardware leicht zugänglich sind.
(Auto-)Tagging
Damit assistive Technologien, wie etwa Screenreader, Dokumente auslesen können, müssen sie zuvor mit sogenannten Tags (unsichtbaren Strukturinformationen) versehen werden. Beim Tagging werden Dokumente strukturiert und kategorisiert. Jedes einzelne Element wird als Überschrift, Absatz, Abbildung, Listenelement, Tabelle oder Formularfeld gekennzeichnet. Mithilfe der Tags kann der Nutzer den Screenreader innerhalb des Dokuments navigieren. Um den manuellen (Zeit-)Aufwand zu minimieren, lassen sich Dokumente mittels Auto-Tagging automatisiert taggen.
Auto-Tagging kann für einzelne Dokumente mit Desktop-PDF-Editoren oder im großen Umfang über serverbasierte PDF-Software erfolgen, um eine große Masse von Dokumenten (z. B. Archivbestände) zu taggen. Obwohl Auto-Tagging den Prozess weitestgehend automatisiert, ist bisher keine Auto-Tagging-Lösung zu 100 Prozent genau. Nachdem der Prozess abgeschlossen ist, sollten die Benutzer manuell mit einem Tag-Editor in das Dokument gehen und alle Fehler korrigieren oder Lücken ausfüllen. Ein Accessibility Checker kann eine Datei schnell daraufhin überprüfen, ob sie den Industriestandards für Barrierefreiheit entspricht. Mit einigen PDF Editoren ist neben Funktionen des Auto-Taggings ebenso eine manuelle Überprüfung mit einem solchen Accessibility Checker möglich. Nach der Fertigstellung sollten die Dokumente gut für assistive Software und Hardware funktionieren, sodass Benutzer frei innerhalb der getaggten Dokumente navigieren können.
Barrierefreier Zugang im privaten Sektor
Obwohl Richtlinien über den barrierefreien Zugang nicht für den privaten Sektor gelten, sollten Unternehmen dennoch damit beginnen, auf digitale Barrierefreiheit hinzuarbeiten. Denn früher oder später könnten Gesetze zur digitalen Barrierefreiheit auf private Unternehmen ausgeweitet werden und sie zum Handeln zwingen. Darüber hinaus können Unternehmen von einer Verbesserung des digitalen Zugangs profitieren. Die Schaffung von Barrierefreiheit kann die interne Moral, die Bekanntheit, das Image, den Markenwert und die Kundentreue steigern. Unternehmen erreichen durch barrierefreien Auftritt und Dokumente wertvolle neue Kunden und können sich bereits frühzeitig für eine Einhaltung der sich ändernden Gesetze positionieren. Zudem werden Unternehmen auf diese Weise nicht Zielscheibe von Klagen, wie das in den USA der Fall ist. Der Anwaltskanzlei Seyfarth Shaw zufolge erreichten dort 2019 die Bundesklagen im Zusammenhang mit Barrierefreiheit im Internet ein Rekordhoch von 11.053.
Die Richtlinien, die bisher für öffentliche Verwaltungen gelten, können auch Unternehmen des privaten Sektors dabei helfen, Barrierefreiheit in ihre Websites, Anwendungen und digitalen Dokumente zu integrieren. Ratsam ist zum Beispiel, einen Verantwortlichen und ein Team für Barrierefreiheit zu benennen, Barrierefreiheitsbedürfnisse und -anforderungen in Design- und Entwicklungsprozesse zu integrieren sowie Websites und Dokumente auf Barrierefreiheit zu testen. Probleme hinsichtlich Barrierefreiheit sollten kontinuierlich überprüft und gelöst werden. Mitarbeiter sollten zudem geschult werden, damit sie auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen eingehen und achten. Ein weiterer guter Ansatzpunkt ist die Zusammenarbeit mit Anbietern, die sich mit Lösungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit auskennen. Diese Anbieter können die richtigen Werkzeuge und Prozesse bereitstellen, um den barrierefreien Zugang möglichst einfach zu verwirklichen.
Die aktuelle weltweite Reaktion auf Covid-19 hat deutlich gemacht, dass digitale Infrastruktur und Inhalte heute ein grundlegender Aspekt des modernen Lebens sind. Sie sollten nicht zu einem neuen Hindernis für faire Behandlung, Gleichberechtigung und Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen werden. Die Zeit ist reif für Veränderung. Es existieren bereits neue Lösungen, die eine Vielzahl digitaler Barrieren abbauen können. Öffentliche Verwaltungen setzen diese Lösungen bereits teilweise ein, um neue Zugänge zu digitalen Technologien und Inhalten zu schaffen. Private Unternehmen sollten sich dies zum Vorbild nehmen und beginnen, in digitale Barrierefreiheit zu investieren.
Über die Autorin:
Karolin Köstler kam 2018 als erstes europäisches Marketingteam-Mitglied zu Foxit Software, einem führenden Anbieter innovativer PDF-Produkte und Dienstleistungen, der Wissensarbeitern hilft, ihre Produktivität zu steigern und mehr mit Dokumenten zu erreichen. In Europa ist sie für Corporate Marketing, Public Relations, Partner- und Produktmarketing verantwortlich. Mehr über das Thema Barrierefreiheit bei Foxit erfahren Sie unter https://www.foxitsoftware.com/de/solution/accessibility/.
Bildquellen
- Karolin Köstler: Foxit
- Barrierefreiheit: Foxit