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Veränderung – bewusst und mit Lust

Das Jahrzehnt der Veränderungen ist ausgerufen: Klima, Mobilität, Energie ... Doch müssen wir uns vor all den anstehenden Veränderungen fürchten? Stehen wir am Abgrund oder vor einer Entdeckungsreise? »Das kommt ganz auf die Sichtweise an. Ob Veränderung zum Trauerspiel oder Gewinn wird, hängt auch von uns selbst ab!«, meint Konrad Stadler. Ein Plädoyer für die Lust an der Veränderung.

von wirtschaftstelegraph

Wir schreiten stetig fort

Was wäre das Leben ohne Wandel? Das Leben ist Wandel. Jeder Mensch erlebt das in seiner individuellen Lebensgeschichte. Die Einstellung gegenüber Veränderungen und das Bedürfnis nach Abwechslung ist bei jedem anders. Jedoch können fast alle zustimmen, dass die Bewältigung neuer Herausforderungen einen weitergebracht hat. Dies gilt privat wie beruflich. Hier ist es ein Umzug oder die Gründung einer Familie; dort die Einführung einer neuen Software oder eine Auslands-erfahrung. Der Übergang kann beschwerlich sein. Doch genau dieser nicht einfache Weg erzeugt eine persönliche Entwicklung. Das beste Beispiel ist die Digitalisierung. Die Umstellung gewohnter Abläufe erzeugt zunächst Stress. Wer sich aber darauf einlässt, erlebt bald viele Vorteile. Bestellen, einchecken, die Wettervorhersage – das alles geht in Sekundenschnelle.

Fortschritt war immer das Bestreben nach Verbesserung; man könnte sagen, seit der ersten Zellteilung. Nicht alles ist dadurch gut geworden. Heute erleben wir die negativen Auswirkungen der Industrialisierung und wissen, dass es so nicht weiter geht. Es steht das Lebensmodell der westlichen Zivilisation zur Diskussion. Das macht Angst. Keiner möchte an Wohlstand einbüßen. Es zeigt sich ein Festhalten am Erreichten, ein Klammern an materielle Standards. Aber heißt Fortschritt jetzt nicht, den nächsten Schritt zu gehen, neue Lösungen zu finden, neue Formen des Konsums, eine neue Sicht auf Lebensqualität?

Die Kunst des Loslassens

Die Angst vor Veränderungen hängt mit dem Festhalten am Gewohnten und Herkömmlichen zusammen. Der Gegenmodus ist das Loslassen. Ein einfaches Beispiel ist das Entrümpeln der Wohnung. Jahrelang sammeln sich Gegenstände an. Irgendetwas führt dann dazu, es anzupacken, auszuräumen und sich von Sachen zu trennen. Auf einmal siegt die Lust auf einen Neubeginn über ein Weiter-so. Auslöser kann ein Leidensdruck sein. Die Zimmerpflanze hat alles erdrückt. Es kann eine Begeisterung sein. Die luftige Wohnung der Freunde hat fasziniert. Energie wird frei, neu zu gestalten, Platz zu schaffen, umzustellen, ja: anders zu leben. Das Loslassen des Alten ist die Voraussetzung, um Raum für neue Konzepte, neue Herangehensweisen, neue Erfahrungen zu geben. Eltern tun sich manchmal schwer damit, wenn die Kinder das Haus verlassen. Doch bringt dieses Anhaften weder die Kinder noch die Partnerschaft weiter. Mit der Kunst des Loslassen können viele Probleme aus der Welt geschaffen werden. Aus der Wunscharbeitsstelle ist nichts geworden. Wer sich von der Fixierung darauf lösen kann, ist frei und es ergibt sich etwas Neues. Wir haften an unserem Lebensmodell, so als gäbe es keine Alternative oder zumindest keine attraktive Alternative. Es fehlt oft schlicht die Vorstellungskraft. Deshalb sind kreative Experimente so wichtig.

Einfach ausprobieren

Ein gutes Beispiel sind Modellstädte wie Kopenhagen oder Amsterdam, die auf das Fahrrad als das bevorzugte Verkehrsmittel setzen. Die saubere Luft, der abnehmende Lärm, überhaupt die Atmosphäre in der ganzen Stadt zeigen einen hochattraktiven Weg auf. Fahrräder sind hip. Erfolgreiche Business-Leute brüsten sich weder mit dem Mercedes noch mit einer Rolex – daran würde man die Stehengebliebenen erkennen – sondern mit einem coolen Retrobike. Das Neue kommt über das Ausprobieren in die Welt. Das sieht der Managementvordenker C.O. Scharmer ebenso wie der Philosoph Karl Popper. Weiterentwicklung beruht auf dem Mechanismus aus Versuch und Irrtum. Wir brauchen deshalb Führungskräfte, die den Menschen den Anstoß geben, etwas zu versuchen. Zaghaften könnte der Zusatz helfen: Wenn es nichts wird, dann machen wir es wieder wie immer. Wir brauchen aber auch einen neuen Zugang zum Irrtum. Unternehmen scheitern mit der Einführung eines Fehlermanagements, weil die Mitarbeiter ein Beschuldigungssystem darin sehen. Für Popper ist das Lernen aus dem Irrtum das Erfolgsprinzip der Evolution. Voraussetzung ist ein konstruktiver Umgang mit Kritik.

Sich einlassen

Der Wind der Veränderung kann als Bedrohung oder als Erfrischung aufgefasst werden. Die Schlüsselstelle ist das Sich-einlassen. Jede und jeder kann das bei sich selbst beobachten. Es kommt ein neues Thema auf mich zu; zum Beispiel eine neue Aufgabe in der Firma, ein englischsprachiges Seminar, die Nutzung einer App im Nahverkehr. Wie stelle ich mich dieser Neuerung. Werte ich ab: So ein Blödsinn! Weiche ich aus: Sollen das andere machen! Oder kann ich eine Neugier, ein offenes Entgegennehmen in mir wach werden lassen. Das Ergebnis wird fundamental anders sein, je nach meiner mentalen Ausrichtung. Die amerikanische Psychologin Carol Dweck unterscheidet das statische und das dynamische Mindset. Das dynamische Mindset öffnet für neue Gedanken, Ideen und Erfahrungen – bis ans Lebensende. Man sieht das den Leuten an. Sie wirken frischer, freudiger. Sie erfreuen sich an den Möglichkeiten des Lebens und finden Gefallen an der persönlichen Verwandlung.

Die Verwandlung

Das ist der Kern des Umgangs mit dem Wandel. Der Schweizer Philosoph Peter Bieri definiert einen gebildeten Menschen so: Er lässt sich beim Lesen eines Buches selbst verwandeln. Er hält nicht fest, sondern lässt sich überraschen, lässt sich inspirieren, er nimmt Denk- und Handlungsimpulse auf. Der gebildete Mensch ist das Gegenteil des einfältigen Menschen, der auf seiner Meinung und auf seinem Weltbild beharrt.

Sich zu verwandeln, bedeutet nicht, sein Leben komplett zu ändern. Kein Mensch ändert sich komplett. Jedoch gibt es das Phänomen, dass das Leben einen umkrempelt. Es kommt ein ungeplantes Kind. Es wird einem eine exotische Arbeitsstelle angeboten. Ein Familienmitglied erkrankt schwer. Im Verlauf des Lebens entsteht etwas. Was aber mache ich damit?

Veränderungsbewusstsein

Ganz einfach: Lasse es zu. Nimm Anteil am Abenteuer des Lebens. Vertraue auf die Spielarten des Lebens. Erkenne im Ungeplanten die Chance, sich selbst neu kennenzulernen. Lasse dich vom Wind of Change erfrischen.

Wir leben in einer spannenden Übergangszeit. Die Idee des Höher-schneller-weiter kommt an ein Ende. Wie es genau weitergehen kann, wissen wir noch nicht. Es gibt radikale Ideen einer Ökodiktatur (Graeme Maxton, Club of Rome) bis hin zu einer blauen Ökonomie (Matthias Horx, Zukunftsinstitut), die in ökologischen Produkten neue Märkte erkennt. Die UN hat 17 Nachhaltigkeitsziele definiert und die EU fordert von Unternehmen eine Nachhaltigkeitsberichterstattung ein. Es tut sich etwas. Wer ein Veränderungsbewusstsein entwickelt, richtet den Blick auf den Geist einer neuen Zeit. Er sieht darin keinen Verlust, sondern erkennt Werte und Strukturen einer erstrebenswerten Zukunft. Von der Politik und von Managern wäre zu erwarten, den Blick dafür zu öffnen, hinzuschauen, nicht zu beschwichtigen, sondern zu ermutigen.

Der Autor

Der studierte Philosoph Konrad Stadler berät seit über 25 Jahren internationale Konzerne und mittelständische Unternehmen bei Veränderungsprozessen. Mit seiner differenzierten Sichtweise liefert er Antworten auf die drängenden Fragen, wie wir mit gegenwärtiger und zukünftiger Transformation besser umgehen können. Er ist Vortragsredner und Trainer zu den Themen Führung und Kulturwandel. https://www.stadler-schott.de

Bildquellen

  • Veränderungsbewusstsein: Konrad Stadler
  • Konrad Stadler: Konrad Stadler
  • light-bulb-1246043_1280: Image by Free-Photos from Pixabay

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