Ach, manchmal ist Anachronismus echt was Schönes. Antike Möbelstücke im verspielt-fließenden Jugendstil zum Beispiel. Oder die klangliche Wärme einer Schallplatte. Experten sprechen hier übrigens von Phasenverschiebungen zwischen den Kanälen, die eine angenehm klingende Unschärfe dem Stereobild hinzufügen. Diesen Effekt künstlich herzustellen, ist zwar möglich, kommt aber nicht an das analoge Original heran. Genau wie E-Books zwar platzsparend und praktisch sind, aber viele Menschen auf ihr geliebtes Bücherregal, das gleichsam Behaglichkeit ausstrahlt und zugleich repräsentativ ist, nicht verzichten wollen.
Analoge Anachronismen können aber auch richtig schädlich sein – und Zeit, Geld sowie Nerven kosten. Das trifft besonders stark auf die Logistik zu. Unnötig hohe Prozesskosten und unübersichtliche Abläufe aufgrund fehlender Digitalisierung trifft man leider immer noch allzu häufig an. Das Positive: Die Erkenntnis der Marktteilnehmer ist inzwischen da. Nach einer Bitkom-Umfrage sehen 89 Prozent der insgesamt 508 befragten Unternehmen in der Digitalisierung eine Möglichkeit, ihre Logistikkosten langfristig zu senken.
JURISTISCH NICHT ANERKANNT
Jedoch liegt nicht alles in den Händen der Unternehmen selbst. Und dazu zählt auch die Notwendigkeit, Frachtdokumente stets auf Papier vorliegen zu haben. Denn digitale Varianten sind nach wie vor juristisch nicht anerkannt. Ein Umstand oder, besser gesagt, eine Umständlichkeit, die fast alle Transportunternehmen gern geändert sehen würden.
Das bestätigt ganz deutlich eine weitere aktuelle Bitkom-Umfrage. Nach dieser sind 88 Prozent der 514 befragten Logistik-Unternehmen aus Deutschland der Ansicht, dass es ihnen helfen würde, wenn auch digitale Varianten von Frachtpapieren ausreichend wären.
NICHT NACHVOLLZIEHBAR
Hierzu Julia Miosga, Bereichsleiterin Handel und Logistik von Bitkom: „Der Zwang, Frachtdokumente auf Papier mit sich zu führen, ist angesichts der Digitalisierung in der Logistik ein nicht mehr nachvollziehbarer Anachronismus. Papierdokumente kosten Unternehmen und Verwaltung Zeit und Geld und belasten zudem die Umwelt.“
Die Bitkom-Umfrage zeigte auch, dass sich insbesondere große Unternehmen digitale Frachtpapiere wünschen. Klar, je größer das Unternehmen, desto mehr Aufträge und desto größer das Papierchaos in den Fahrerhäusern der Lkw. Wenig erstaunlich: Als behaglich oder repräsentativ wird das von niemandem empfunden. So sehnen sich 96 Prozent der Logistik-Unternehmen mit 500 oder mehr Beschäftigen nach juristisch anerkannten digitalen Frachtpapieren, während es bei kleineren Unternehmen mit 50 bis 99 Beschäftigten vergleichsweise geringe 83 Prozent sind – was natürlich immer noch die große Mehrheit darstellt.
PRAXISBEISPIEL
So umständlich ist das Prozedere mit Frachtdokumenten aus Papier
1. Während das verladende Unternehmen einen Lieferschein erstellt, fertigt die Spedition den Frachtbrief an – und zwar in dreifacher Ausfertigung.
2. Nach der Verladung bekommt der Fahrer den Lieferschein. Und auf den Frachtbriefausfertigungen wird die Verladung dokumentiert.
3. Eine dieser drei Frachtbriefausfertigungen bleibt an der Beladestelle zurück – mit den Unterschriften des Verladers und Fahrers.
4. Lieferschein sowie die zwei übrigen Frachtbriefausfertigungen nimmt der Fahrer an sich (auch um sich im Zweifelsfall als rechtmäßiger Transporteuer ausweisen zu können).
5. Die Entladung wird dann durch Unterschrift oder Stempel des Lademeisters bestätigt. Und eine Ausfertigung des Frachtbriefs bleibt mit den Unterschriften des Fahrers, Versenders und Empfängers an der Entladestelle zurück.
6. Der Fahrer selbst hat jetzt also noch eine Ausfertigung des Frachtbriefes. Diesen bringt er – nach Beendigung seiner Tour – ins Büro des Disponenten. Hier übergibt er auch den Lieferschein.
7. Erst jetzt kann die Rechnung erstellt werden.
8. Fertig ist das Prozedere damit aber nicht – denn Frachtbrief und Lieferschein müssen noch eingescannt werden. Und die Originale gehen dann im Anschluss zusammen mit der Rechnung an den Auftraggeber – auf postalischem Weg.
9. Der Auftraggeber seinerseits scannt ebenfalls – in diesem Fall Rechnung, Lieferschein und Frachtbrief. Im Anschluss erstellt er selber eine Rechnung (weil er vielleicht selbst noch einen Auftraggeber hat).
10. Diese Rechnung sowie die Lieferpapiere sendet der Auftraggeber dann an seinen eigenen Auftraggeber (erst wenn dieser die Rechnung per Post erhalten hat, beginnt das Zahlungsziel).
11. Der Auftraggeber des Auftraggebers wiederum muss jetzt noch die Rechnung seinem internen Auftrag zuordnen, diese erneut einscannen – und schließlich zehn Jahre aufbewahren.
ENTSCHEIDUNG NOCH IN DIESER LEGISLATURPERIODE
Die Bitkom selbst unterstützt auch die EU-Initiative für elektronische Informationen zum Güterverkehr. Plan der Politik ist es, dass hierüber noch in dieser Legislaturperiode entschieden werden soll.
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