Europas Versicherer haben die digitale Transformation ihrer Geschäftsmodelle in den letzten Jahren sukzessive vorangetrieben und sind dadurch in Summe digitaler geworden. Größere Innovationssprünge wurden dabei jedoch weder im Produktangebot noch in den Prozessen oder in der Technologie sichtbar. Kunden zeigen Appetit auf digitale Versicherungslösungen, doch das Angebot bleibt bislang auf digitale Basisservices beschränkt. Die Transformation kommt beim Kunden noch nicht an.
Dies sind zentrale Ergebnisse des aktuellen zeb.digital pulse check insurance. Die Strategie- und Managementberatung zeb hat nun zum zweiten Mal untersucht, wie es um die Digitalisierung in ausgewählten Versicherungsmärkten Europas steht und dazu 100 Experten und Führungskräfte der Branche sowie 5.000 Endkunden in Deutschland, Österreich, Großbritannien, Italien und der Schweiz befragt.
Stefan Geipel, zeb-Partner und Initiator der Studie, erläutert: „Unser aktueller Digital Pulse Check zeigt, dass Versicherer die digitale Transformation eher anlassbezogen vornehmen. Sie ergänzen ihre bestehenden Geschäftsmodelle sukzessive um neue digitale Produkte und Services. Während digitale Agenden gesetzt und Initiativen weitestgehend strategisch definiert werden, steuert nur eine kleine Minderheit auch nach digitalen Zielgrößen, wie z. B. Onlineabschluss- und Dunkelverarbeitungsquoten. Auch die Kundenzufriedenheit ist nur selten als zentrale Steuerungsgröße verankert. Die Konsequenz der Digitalstrategien bleibt somit ausbaubar.“
Versicherer noch nicht bereit für breite Kanalnutzung
Nach wie vor präferiert die Mehrheit der befragten Kunden den persönlichen Kontakt. Insbesondere beim Versicherungskauf oder bei der Meldung komplexerer Schäden bleibt der persönliche Ansprechpartner die zentrale Anlaufstelle. Onlinekanäle liegen allerdings mittlerweile fast gleichauf. Dabei zeigt die „Omnikanalfähigkeit“ von Versicherern weiterhin Verbesserungspotenziale. Ein Drittel der befragten Versicherer hat z. B. keine zentralisierte Steuerung und inhaltliche Verzahnung der Vertriebskanäle aufgebaut, und bei einem Großteil ist ein friktionsfreier Kanalwechsel des Kunden nach wie vor nicht oder nur für einzelne Pilotprozesse möglich.
Interaktionsquoten bleiben niedrig – Ökosysteme nicht das „Allheilmittel“
Obwohl die Bedeutung des Onlinekanals stetig zunimmt, bleibt die Frequenz von Onlineinteraktionen zwischen Kunden und Versicherern insgesamt niedrig. Zwei Drittel der befragten Endkunden nutzen Websites oder Apps ihrer Versicherer maximal einmal pro Jahr, erleben diese dann allerdings eher positiv. Ökosysteme, d. h. die Vernetzung eigener und fremder Produkte und Services über Plattformen, schaffen hier nur bedingt Abhilfe. Während über die Hälfte der Versicherer angibt, an Initiativen rund um die Integration von Produkten und Services in eigene oder fremde Ökosysteme zu arbeiten, kann die Hälfte der befragten Kunden sich derzeit nicht vorstellen, versicherungsfremde Services über Versicherungsplattformen zu erwerben. Das Interesse an digitalen Versicherungsprodukten und -services dagegen scheint groß, während Versicherer hier zumeist nur Basislösungen bieten. Ein konsequentes Angebot digitaler Mehrwertservices mit direktem Versicherungsbezug, wie z. B. digitale Assistenzleistungen, bleibt somit eine wichtige „Grundlage“ innerhalb der Kernkompetenzen von Versicherungen.
Analytics und KI bleiben ungenutzte Chance
Versicherer haben das Potenzial von (Kunden-)Daten zur Hebung von Ertrags- und Einsparungspotenzialen durchaus erkannt und in ihre Unternehmensstrategien integriert. Auch hat ein Großteil der befragten Versicherer bereits die technischen Grundlagen im Datenmanagement und Datenhaushalt für die Anwendungsbereiche von Analytics geschaffen. Umso verblüffender ist es aus Sicht der Studienautoren, dass eine erfolgreiche vertriebliche Nutzung an der Konsolidierung und Bereitstellung dieser (Kunden-)Daten über alle Unternehmens- und Vertriebseinheiten hinweg zumeist scheitert. Es gilt, relevante Use Cases systematisch zu erfassen, zu bewerten und in iterativen Schleifen in die Umsetzung zu bringen.
Milena Rottensteiner, Senior Consultant bei zeb und Co-Autorin der Studie, bemerkt: „Die Hälfte der Versicherer setzt KI-Ansätze noch nicht einmal in Pilotprojekten um. Dabei wird das ungenutzte Potenzial der (Kunden-)Daten insbesondere im Hinblick auf die niedrigen Automatisierungsgrade an der Kundenschnittstelle deutlich. Automatisierte, datengetriebene Entscheidungen gibt es maximal in einigen wenigen, ausgewählten Unternehmensbereichen. End-to-End Automatisierung aller Basisprozesse bleibt Zukunftsszenario.“ Kunden zeigen insgesamt mit Blick auf das aktuelle Versicherungserlebnis eher Indifferenz und haben gleichzeitig Appetit auf mehrwertstiftende digitale Versicherungslösungen.
Versicherer haben somit nach wie vor die Chance, sich durch ein schnelleres, konsequenteres Vorantreiben digitaler Produkte und Services vom Wettbewerb abzuheben. Dabei kann der Schritt über die Optimierung und Verzahnung bestehender Kanäle und den Ausbau automatisierter, datengetriebener Entscheidungen an der Kundenschnittstelle nicht „übersprungen“ werden. Versicherer müssen in ihrem Kerngeschäft digitaler werden.
Münster (ots)
Bildquellen
- Versicherer werden digitaler: obs/zeb