In Stellenanzeigen schreiben Unternehmen gern: „Wir bieten flache Hierarchien, offene Kommunikation und kurze Entscheidungswege“. Doch tatsächlich können das nur die wenigsten Firmen auch wirklich umsetzen. Grund dafür ist häufig schlicht ein falsches Verständnis von flachen Hierarchien. Oft wird die Modernität und Agilität dieses Ansatzes als Must-have für den Erfolg betrachtet, allerdings wägen Verantwortliche selten ab, ob und wie eine solch grundlegende Strukturveränderung überhaupt zum jeweiligen Unternehmen passt. So endet ein gut gemeinter Strukturwandel meist in Chaos und Unzufriedenheit bei den Angestellten. Aber das muss nicht sein.
Weg vom allmächtigen Chef
Unter einer flachen Hierarchie ist eine betriebliche Organisationsstruktur zu verstehen, in der es nur wenige Führungsebenen und weisungsbefugte Instanzen gibt. Idealerweise existiert kein klassisches starkes Gefälle zwischen Vorgesetzten und Angestellten. Stattdessen erhält jedes Teammitglied mehr Handlungsspielraum und alle werden in Entscheidungsprozesse eingebunden. Unternehmen mit flachen Hierarchien profitieren hier von verkürzten, direkten Kommunikations- und Entscheidungswegen und der daraus resultierenden Möglichkeit, schneller auf kurzfristige Ereignisse reagieren zu können. Eine solche Aufgabenverteilung entlastet auch die Führungsebene deutlich. Durch die engere Zusammenarbeit aller kann ein familiäres und flexibles Umfeld entstehen, das auch die persönlichen Beziehungen untereinander stärkt. Mehr Flexibilität und Unabhängigkeit bedingen zwar eine höhere Notwendigkeit für Eigenverantwortung und Selbstorganisation, tragen aber zu einem kreativeren, ideenreicheren und effektiveren Arbeitsklima bei. Deshalb ist die Einführung flacher Strukturen auch so beliebt.
Wenn Selbstorganisation zum Chaos wird
Trotz vieler positiver Effekte kann die Implementierung einer flachen Hierarchie auch Schwierigkeiten für Unternehmen bedeuten. Zum einen haben Angestellte nur sehr geringe Aufstiegschancen, vor allem in kleineren Unternehmen, in denen ohnehin nur wenige Führungsebenen existieren. Für Mitarbeiter, die nach Karrierechancen suchen, ist das möglicherweise demotivierend. Auch wenn Entscheidungsprozesse dank flacher Strukturen schneller ablaufen sollen, kann es durch unklare Aufgabenverteilung und das Mitwirken aller bei Entscheidungen zu schwerfälligen, langwierigen und anstrengenden Diskussionen kommen. Tatsächlich gehört zum größten Nachteil flacher Hierarchien, dass diese missverstanden und falsch umgesetzt werden. Erstens gilt es Veränderungen nicht nur auf dem Papier einzuführen, sondern auch fest in die Unternehmensstrukturen zu implementieren. Ansonsten laufen Prozesse genauso ab wie vorher, nur weniger strukturiert bis chaotisch, weil es keine geregelte Aufgabenzuweisung mehr gibt und sich niemand verantwortlich fühlt. Zweitens fällt es manchen Führungskräften schwer, ihre Position, Verantwortung und Aufgaben abzugeben. Leider behindern sie dadurch aber die Entwicklung und Arbeit der Mitarbeiter und schränken so den potenziellen Erfolg des Unternehmens ein.
Keine Führung? Keinesfalls!
Teilweise herrscht fälschlicherweise die Überzeugung, dass flache Hierarchien völlig führungslos sind. Zwar bedingt die Entwicklung von Unternehmens- und Führungskulturen der letzten Jahrzehnte eine Veränderung im Arbeitsalltag, bei der Mitarbeiter mehr mitgestalten wollen und auch dürfen, aber das funktioniert nur, wenn Verantwortliche die passenden Strukturen schaffen. Das heißt allerdings nicht, dass in einer flachen Hierarchie jeder zum Chef gemacht wird. Stattdessen gibt es weiterhin Teamleitungen oder Menschen in Führungsstellungen, die die Fäden zusammenhalten und stellvertretend für die gesamte Abteilung oder das Team sprechen, handeln und eben auch verantwortlich sind. Auch wenn in den meisten flachen Hierarchien Entscheidungsketten nicht völlig aufgelöst werden, kann sich das Team dennoch in vielen Bereichen frei entfalten und Meinungen äußern. Hierzu zählt etwa die Ideenentwicklung. Bei schwierigen Entscheidungen gibt es aber weiterhin eine Leitung, die die Richtung vorgibt, wie etwa bei der Budgetverwaltung. Zu bedenken ist ebenfalls, dass eine solche agile Struktur nicht ohne Weiteres auf jede Unternehmensgröße gleichermaßen anwendbar ist. In kleinen Unternehmen und Start-ups funktionieren sehr flache Strukturen gut. Je größer das Unternehmen wird, desto mehr muss auf Aspekte herkömmlicher Strukturen zurückgegriffen werden. Insbesondere bei Krisen bieten traditionelle Entscheidungskonzepte die besten Voraussetzungen für ein geregeltes Krisenmanagement. Dennoch lassen sich Elemente flacher, agiler Strukturen auch in größeren Unternehmen gewinnbringend einsetzen.
Eine Frage der Einstellung
Für die erfolgreiche Umsetzung flacher Strukturen ist vor allem eines wichtig: die richtige Einstellung aller Personen im Unternehmen. Diese ist nicht zu verwechseln mit der Persönlichkeit. Während die Persönlichkeit zeigt, wer ein Mensch im Kern ist, bezieht sich die Einstellung auf die Denkweise über bestimmte Themen, Menschen oder Ereignisse. Persönlichkeiten sind meist statisch, doch die Einstellung verändert sich durch verschiedene interne und externe Faktoren, wenn ein Mensch neue Erfahrungen sammelt. Aus diesem Grund ist es wichtig für die Implementierung von flachen, agilen Strukturen, der Einstellung aller Team- oder Projektbeteiligten eine große Beachtung zu schenken. Nur mit der richtigen Haltung gegenüber dem Unternehmen, der Arbeit sowie allen Kolleginnen und Kollegen kann das gemeinsame Ziel verfolgt werden, das Unternehmen zum Erfolg zu bringen. Insbesondere Offenheit, Respekt und Wertschätzung gehören hier zu den Werten, die von jedem einzelnen Angestellten gelebt werden müssen. Nur so erreichen Unternehmen, dass sich Manager wahrhaftig auf dieselbe Stufe wie alle anderen Mitarbeiter stellen und somit auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Schrittweise statt überstürzt
Eine sinnvolle Auflösung von klassischen Arbeitsorganisationen mit strikten Führungskompetenzen und -ebenen funktioniert am besten, wenn Angestellten Stück für Stück einzelne Freiheiten gewährt werden. So verläuft der Wandel zu flachen Strukturen nach und nach, bis die gewünschte Organisationsform erreicht ist. Ein Unternehmen schafft den Wandel aber nur, wenn es im Projektmanagement darauf achtet, die passenden Strukturen zur richtigen Zeit zu etablieren. Einfach zu sagen „Wir machen das jetzt agil“ funktioniert nicht in jedem Unternehmen. Um nicht in strukturlosem Chaos zu versinken und nur agil um des Agilitätswillens zu sein, sollten Organisations- und Führungsstruktur passend zu Mitarbeitern und Unternehmen ausgewählt werden. Deswegen verbinden professionelle Projektmanager beispielsweise agile und klassische Projektmanagementmethoden, um flexibles, kreatives Arbeiten auf Augenhöhe zu ermöglichen, aber zeitgleich weisende und hilfreiche Strukturen zu schaffen. Denn offene Kommunikation, richtige Transparenz und ehrliche Wertschätzung sind das A und O für das Verringern von Hierarchiestufen.
Über die Autorin
Petra Menzel ist Geschäftsführerin der Gordion Projects GmbH und verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Projektmanagement in nationalen sowie internationalen Unternehmen. Sie ist spezialisiert auf Projektkrisenintervention. Mit der eigens entwickelten „Gordion Projects Management“-Methode verzahnt sie klassisches Projektmanagement, also Planbarkeit und Verbindlichkeit, eng mit agilem Projektmanagement, also der Motivation der Mitarbeiter, sich selbst zu organisieren und ihre Aufgaben verantwortungsvoll zu erledigen, und löst so vor allem komplexe Projekte und Probleme zielführend.
Weitere Informationen unter gordion-projects.com
Bildquellen
- Petra Menzel: Snapshotz by Petra Fischer
- Arbeiten auf Augenhöhe: Bild von Free-Photos auf Pixabay